3.2 – Was sind Machtgefälle?

Im vorigen Kapitel haben wir uns mit Privilegien beschäftigt und u.a. festgehalten, dass eine individuelle Person keine Schuld an ihren Privilegien hat. Welche Auswirkungen Privilegien dennoch haben, möchten wir nun etwas deutlicher aufzeigen.

Macht beschreibt die Möglichkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen, um Einfluss zu nehmen. Weniger privilegierte Personen haben geringere Möglichkeiten dieser Einflussnahme als Personen mit höherem / bevorzugtem / bevorteiltem gesellschaftlichen Status. Personen mit Privilegien erlangen durch ihren Status mehr Möglichkeiten auf Kosten von weniger privilegierten Personen. In solch einem Fall spricht man von einem Machtgefälle.

Erst durch ein bestehendes Machtgefälle entsteht zusammen mit Vorurteilen strukturelle Diskriminierung. Natürlich können in Einzelfällen auch privilegiertere Personen benachteiligt werden, das ist aber NICHT gleichzusetzen mit struktureller Diskriminierung.

Wenn weiße1 Menschen als „Kartoffel“ bezeichnet werden, ist das kein Rassismus, da sie sich weiterhin im Allgemeinen tagtäglich in der machthabenden Position befinden. Das heißt, sie werden in einer Situation aufgrund des Merkmals „Weißsein“ beleidigt, erfahren aber nicht konsequent in ihrem Leben deshalb Benachteiligungen.
 Diese Erfahrung ist nicht gleichbedeutend mit Rassismus, der sich beispielsweise durch Hürden bei der Wohnungssuche, Polizeigewalt und schlechtere medizinische Versorgung zeigt.

Neben dem Machtgefälle von struktureller Diskriminierung können in Situationen auch noch andere Hierarchien zwischen Einzelpersonen hinzukommen.

Person wurde durch Trainer geraten, sie sollte Therapeuten aufsuchen. Auch wurde angedeutet, sollte dies nicht geschehen, würde ein Mitfahren auf Turniere in Zukunft schwierig werden.

Umfragen-Zitat

Im Jugger kann das zum Beispiel die Trainer*in <–> Teilnehmer*in-Beziehung sein oder, dass Menschen sehr gut vernetzt sind und deshalb von vielen Seiten schnell Zuspruch erhalten, während weniger bekannte Personen kritischer hinterfragt werden.

Machtgefälle können sich auch situativ verändern. Ein Beispiel aus dem Juggerkontext ist die Situation, wenn ein Schiri ein deutlich geringeres Erfahrungslevel als die spielenden Personen mitbringt.

Hierzu ein Beitrag aus der Umfage:

„Spieler*innen nehmen teilweise Schiris nicht ernst, wenn sie sie für unerfahren, sich selber also überlegen halten. Nach so einer Erfahrung sind die Neueren kaum motiviert, je wieder zu schiedsen und dann wird ihnen auf dieser Basis fehlende Erfahrung als Schiri vorgeworfen, weshalb ihre Entscheidungen wiederum in Frage gestellt werden.“

Umfragen-Zitat

In solchen Fällen ist es wichtig, dass alle Beteiligten bewusst mit der Situation umgehen. Wie gut Menschen schiedsen kann nicht aus ihrem Trikot, ihrer Juggererfahrung, ihrem Geschlecht, ihrem Alter o.ä. geschlossen werden. Generell sollten Schiri-Entscheidungen während des Spiels direkt angenommen werden. Mit Spielenden und Schiris sollte respektvoll umgegangen werden. Wenn es Widerspruch gibt, dann könnt ihr konstruktiv nach dem Spielzug diskutieren – wenn dies für alle Beteiligten ok ist.

Dating mit Machtgefälle

Es gibt in jeder Dating-Situation Machtgefälle. Wenn damit nicht bewusst umgegangen wird, besteht die Gefahr, dass sich dabei problematische Dynamiken entwickeln, denn es kann passieren, dass Machtgefälle im Dating bewusst oder unbewusst (aus)genutzt werden. Unbewusst heißt dabei nicht, dass das Ergebnis weniger schlimm ist.
 Dating mit unbewusstem Machtgefälle ist für Jugger besonders zu beachten, denn im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten gibt es losere Trainingshierarchien, eine Mixed-gender Community, Gruppenduschen, größere Altersunterschiede, eine alkohol-lastige Partykultur und vor Ort gemeinsame Übernachtungen. Dies lässt die Hierarchien verwischt wirken und kann es schwieriger machen, Machtgefälle zu erkennen und anzusprechen.

Ein oft beobachtetes Problem ist das Ausnutzen von Unerfahrenheit:

Als ich mit Jugger angefangen habe, hat neben der Person die mich mitgebracht hat, am Anfang nur eine Person mit mir gesprochen. Ich wurde vorher gewarnt, dass die Person sich an alle weiblich gelesenen Personen „ranmachen würde“. Ich habe freundlich distanziert mit der Person agiert und mich aber dennoch häufig unwohl gefühlt. Später habe ich erfahren, dass die Person den Ruf hatte, sich vor allem an schüchterne Frauen* ranzumachen, weil die leichter rumkriegbar wären. Mindestens das war also bekannt und er war trotzdem eine Person mit Macht, unter anderem auch Unikurstrainer….

Umfragen-Zitat

Sowohl vor, während, als auch nach Dating/Beziehungen kann diejenige Person mit der größeren Macht den Zugang anderer Personen zur Community kontrollieren (z.B. durch ein größeres soziales Netzwerk, die Rolle als Trainer*in oder andere Orga-Verantwortung).

Regelmäßig ziehen sich Personen nach Trennungen zurück, was dazu führt, dass die „mächtigere“ Person ihr Hobby bzw. soziales Umfeld behält, während der anderen Person nur die Möglichkeit bleibt, zu gehen.

Abschließend lässt sich sagen, dass Dating innerhalb der Juggercommunity sowieso passiert und nichts grundsätzlich Negatives ist. Besonders diejenigen mit größerer Macht sollten sich über die angesprochenen Problematiken bewusst werden und sich vor allem mit unbewussten Dynamiken auseinandersetzen. Es kann ungewohnt sein, über diese Themen zu sprechen; an dieser Stelle wollen wir dazu ermutigen, euch miteinander auszutauschen.
 Diese Gespräche können nicht nur mit Partner*innen sondern auch mit anderen Freund*innen wichtig und bereichernd sein – auch über andere zwischenmenschliche Beziehungen als im Dating-Kontext.

Jugger ist auch eine (Nerd-)Datingbörse und das ist grundsätzlich auch voll ok. Leider wird dabei aber ein bisschen vergessen, dass man sich ja immer wieder sieht und dass deswegen Leute abzuweisen zum Teil noch schwieriger und subtiler sein kann/ muss, weil man sich nicht nur morgen sondern vielleicht auch die nächsten Jahre sieht. Ich würde mir wünschen, dass auch wenn Leute manchmal Probleme haben, non-verbale Codes zu lesen, das in ihr (Flirt-)Verhalten miteinzubeziehen. Auch so Sachen wie sich sofort auf neue Leute im Jugger zu stürzen, ohne das Machtgefälle, das entsteht, weil man schon Teil der Community ist, miteinzubeziehen. (Abgesehen davon wollen manche Menschen auch einfach Sport machen und nicht alle 3 Minuten angegraben werden). Gerade als weiblich gelesene Person kann das maximal unangenehm sein, wenn Mensch das Gefühl bekommt, dass Leute denken, sie hätten Ansprüche auf einen und bei Nicht-Erfüllung unangenehm werden. Ich war mal dabei, als ein Typ einen anderen Typen angemeckert hat und als „Cockblocker“ bezeichnete, weil der sich zwischen ihn und eine sichtlich unangenehm berührte Spielerin gesetzt hatte… 

Umfragen-Zitat

Alle Formen von Machtgefälle führen dazu, dass Menschen verschieden behandelt werden. Dies kann so weit gehen, dass bei einigen Themen/Situationen Menschen, die eine hohe Machtposition innehaben, irgendwie unantastbar werden.

Umfragen-Zitat
Umfragen-Zitat

Machtgefälle aus Sicht der Benachteiligten

Für Menschen, die wenig(er) Privilegien haben, können sich abwertende/diskriminierende Situationen besonders belastend anfühlen. Zum Einen, weil sie diesen deutlich häufiger ausgesetzt sind, zum Anderen auch weil sie sehr viel weniger Möglichkeit haben, sich dagegen zu wehren. Die erlebte Machtlosigkeit wird verstärkt und es kann sich ein Gefühl der  Hilflosigkeit einstellen.

Marginalisierte Personen treffen durch dieses Ungleichgewicht auch auf mehr Widerstände, wenn sie sich gegen Ungerechtigkeiten wehren wollen. Sie haben sowohl als einzelne Personen einen schwierigeren Stand, bestehende Strukturen zu kritisieren, als auch machtvolle  Positionen gegen sich:

  • Ihnen wird unterstellt überempfindlich und emotional zu reagieren. Die Kritik wird unter dem Vorwand nicht neutral oder objektiv (genug) zu sein, abgetan.
  • Ihnen wird vorgeworfen nicht ausreichend Kompromissbereitschaft mitzubringen. Dabei ist oft zu hören, dass einzelne Betroffene angeblich alle Anderen zwingen wollen nach ihren Regeln zu spielen. Hierbei wird verkannt, dass marginalisierte Personen sich permanent den gesellschaftlichen Normen anpassen und Kompromisse eingehen müssen, während die Mehrheit dies weder bemerkt noch selbst tut.
  • Personen mit mehr Macht reagieren oft defensiv und fühlen sich angegriffen, wenn bestehende Missstände aufgezeigt werden – selbst wenn kein persönlicher Vorwurf ausgesprochen wurde.1 Dadurch stellt sich die machthabende Person in den Mittelpunkt des Gesprächs und das eigentliche Thema, nämlich die Diskriminierung, wird oft gar nicht mehr besprochen. 
  • Personen mit mehr Macht behaupten oft, dass wir als Gesellschaft vermeintlich wichtigere Probleme hätten oder es einfach unmöglich wäre, alle möglichen Befindlichkeiten oder Einzelmeinungen zu berücksichtigen, sodass es sich gar nicht erst lohnen würde, sich mit der konkreten Kritik und möglichen Lösungen zu beschäftigen.
  • In gesellschaftlichen Normen, Regeln und Gesetzen werden Probleme von marginalisierten Personen häufig nicht anerkannt. Es gibt oft keine offiziellen Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.
    • Bis 2017 durften Menschen gleichen Geschlechts in Deutschland nicht heiraten, da die Ehe als Bund zwischen „Mann“ und „Frau“ definiert war.
    • Menschen, denen der Ausweis vorenthalten wird, können keiner legalen Arbeit nachgehen, ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen, ihr Recht zu wählen nicht wahrnehmen und vieles mehr (z.B. obdachlose oder staatenlose Menschen)
    • In vielen Sprachen gibt es keine geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen (z.B. Tante/Onkel, Feuerwehrmann, keine neutralen Pronomen, Titel „Deutscher Meister“)

All diese beschriebenen Punkte werden dadurch verstärkt, dass sich Menschen mit Macht oft gegenseitig unterstützen. Das passiert auch unterbewusst, weil sie Ähnlichkeiten untereinander sehen, sich sympathisch finden und ihre Standpunkte gegenseitig gut nachvollziehen können. Hierbei kann auch Peer-Pressure eine Rolle spielen. Wer nicht selbst betroffen ist, dem*der fehlt oft die Wahrnehmung für einen Missstand und somit auch das Bewusstsein über die entsprechende Lebensrealität. Dadurch, dass gesellschaftliche Regeln und Normen als objektive Fakten dargestellt werden, fällt es selbst Betroffenen häufig schwer, Worte für die erlebte Ungerechtigkeit zu finden.

Wir haben im Text einige Machtgefälle genannt die für Viele offensichtlich sind. Es gibt aber auch noch andere Situationen, in denen die Machtgefälle versteckter sind. Diese wollen wir gern gemeinsam mit euch in den Kommentaren sammeln.

  1. siehe: 3.1 – Was sind Privilegien? (Personen mit Privilegien haben keine Schuld für ihre eigenen Privilegien und zudem oft kein Bewusstsein darüber.) ↩︎

3 Gedanken zu „3.2 – Was sind Machtgefälle?“

  1. Mir ist aufgefallen, dass „Juggertalent“ schnell zu großer Beliebtheit führt. Wenn Menschen ohne körperliche Einschränkungen, einer gewissen Grundsportlichkeit und erhöhter Fitness/Koordinationfähigkeit zum Jugger kommen sind sie sehr viel sichtbarer und auch in der Community viel beliebter, als Menschen, die diese Vorraussetzungen nicht haben.

  2. Ich hatte beim Jugger viele Freunde und hatte immer das Geühl gemocht zu werden. Als ich dann ein Kind bekommen habe, hatte ich auf einmal viel weniger Zeit und konnte an vielen Jugger-Veranstaltungen gar nicht mehr teilnehmen. Ich habe schnell gemerkt, dass ich als Person für viele Menschen uninteressanter geworden bin und es auch irgendwie kein Interesse gab Jugger-related stuff so zu gestalten, dass ich mit Kind daran teilnehmen konnte.

  3. Ich hatte mich oft unwohl gefühlt, weil ich als unerfahrener oder schlechter Spieler behandelt wurde und da andere entschieden haben ob ich beim der Mannschaft bei der ich trainiere mitspielen darf oder nicht habe ich mich entschieden viel zu Söldnern, habe aber letztlich meine eigene Mannschaft gegründet mit Leuten bei denen ich mich wohl fühle. Dabei gibt es noch andere Dinge die häufig problematisch waren, wie die Sozialen Hierarchien und der Gruppenzwang dem ich mich nicht unterwerfen wollte, was zwar nicht zum Ausschluss geführt hat, aber man war komplett abgekapselt und man hat irgendwie nicht dazu gehört.
    Mangelnde Kommunikation und Unterstützung die man sich von seiner Mannschaft wünscht hat letztlich komplett gefehlt.

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